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Texte

TEXTE ÜBER WOLF BERTRAM BECKER

Wolf Bertram Becker von Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland

Wolf Bertram Becker von Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland

Große Spannungsfelder umgreifen das Werk von Wolf Bertram Becker; es lebt von einer Energie, die immer wieder zwischen zwei Ausgangspunkten frei wird. Auf der einen Seite die Eindrücke, die auf Reisen durch die Welt gewonnen werden, nach Russland und Amerika, nach Nordafrika und in den Mittelmeerraum – auf der anderen Seite die Verwurzelung in Weimar, dem zugleich kleinen und großen Ort in Thüringen, wo der Maler lebt und arbeitet. Hier wird der Ideenfundus, der in der Welt zusammengetragen wurde, in Bilder umgesetzt. Hier lebt er mit seiner Familie, mit Ehefrau und vier Kindern – ein Kraftfeld, das von der künstlerischen Existenz Wolf Bertram Beckers nicht zu trennen ist.

In seiner Arbeit bekennt sich Wolf Bertram Becker zum herkömmlichen, traditionellen Medium der Malerei, die er als zeitgenössisches Ausdrucksmittel versteht – ein weiteres Spannungsfeld. Auch die Motive sind überlieferte Sujets: Landschaften, Figürliches und immer wieder Bauten und Innenräume. Immer geht es um das Gefüge, um die innere Struktur des ins Auge gefassten Motivs. Es wird auf das Verhältnis der Einzelteile zueinander und zum Ganzen untersucht. Auf dem klassischen Terrain des Ölbildes, wo Farbe, Komposition und Struktur regieren, gewinnt Wolf Bertram Becker den Motiven buchstäblich neue Perspektiven ab. Unablässig sucht er nach der treffenden, das heißt nach der seiner inneren Schau entsprechenden Darstellung.

Becker bekennt sich zur künstlerischen Tradition Weimars: Hier stellte am Anfang des 20. Jahrhunderts Christian Rohlfs Impressionismus und Realismus in Frage und suchte nach Wegen zur Darstellung subjektiver Wahrnehmung; hier entwickelte Lyonel Feininger seine über die Wirklichkeitswiedergabe hinaus greifende, transzendierende Bildsprache.

2012

Offene Konstruktionen von Wolfgang Bock

Offene Konstruktionen von Wolfgang Bock

Frei wie zwei Vögel. Ein Analogieschluss

Beckers Bilder bestechen vor allem durch ihre Anlage und ihre Farbigkeit. Unterschnitte und farbige Kontraste fordern den Betrachter heraus. Sie zeigen Ausschnitte der äußeren Realität und bleiben doch Einheiten und Gestalten für sich. Sie sind gegenständlich und abstrakt zugleich, Ausdruck von reiner Farbe und ihrer Variation am Objekt. Die großformatigen Flächen von schattiertem Rot, Blau, Orange, Gelb oder Schwarz geben den Augen Raum und ermöglichen dem Betrachter die Bewegung zwischen Nah- und Fernblick, schweifender Aussicht und Ruhestellung. Die Objekte bleiben dabei unnahbar, wie sehr man die Distanz zu ihnen auch zu mindern versucht, indem man dicht an sie herantritt und die Einzelheiten studiert.

Das macht ihren reflektorischen Charakter aus. Der Betrachter wird zum eigenen Nachdenken angeregt und kann das Bild im Anschluss wiederum neu mustern. Dazu ist im Prinzip jeder natur- oder kunstschöne Gegenstand in der Lage; die Bilder Beckers aber geben hier eine gewisse Bahnung vor, indem die Dinge in einen Schwebezustand gebracht werden. Diesem vermag sich der Betrachter so leicht anzuschließen, wie der Zaunkönig dem Adler in Aesops Fabel vom Wettstreit der Vögelüber ihre Königswürde. Dort versteckt sich der kleine Vogel im Gefieder des großen, lässt sich von ihm in die Höhe tragen und gewinnt am Ende die Auszeichnung am höchsten fliegen zu können. Die Erzählung erlaubt vielleicht eine Thematisierung dessen, was als Struktur in die Bilder Beckers eingeht. Es gibt bekanntlich eine lange Diskussion über die Produktions- und Rezeptionsästhetik, also über die Frage, ob der Betrachter eines Bildes dieses auch zu würdigen vermag, wenn er selbst nicht malt. Wir können hier in Analogie zur erwähnten Tierfabel und anlässlich von Beckers Bildern eine neue Interpretation dieser Frage vorschlagen: Auf eine ähnliche Weise von den dargestellten Implikationen der Bilder Beckers getragen vermag auch der selbst nicht malende Betrachter mit dem Maler zusammen etwas zu erkennen, wenn er nur richtig hinsieht. Die Bedingungen dieses Sehens sollen im Folgenden verdeutlicht werden.
Frühe Anleitung und Versuche

Wolf Bertram Becker wird 1964 in Weimar geboren. Wolf Bertram Becker wird 1964 in Weimar geboren. Der Vater, Germanist und Dozent an der Universität Leipzig, stammt aus Hainichen bei Chemnitz. In Weimar arbeitet er zunächst in den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur (heute: Stiftung Weimarer Klassik), später als Herausgeber u.a. der Fabeln von Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769), der ebenfalls in Hainichen geboren wurde. Die Mutter ist, bevor sie heiraten, seine Studentin in Leipzig und wird später Lehrerin. Das Paar zieht Anfang der 60er Jahre nach Weimar. Der Junge ist das mittlere von drei Kindern: seine ältere Schwester, die sehr wichtig für ihn ist, stirbt 1997. Wolf wächst in der DDR-Zeit in der Klassikerstadt auf und geht dort zur Schule. Im Nachbarhaus lebt der Holzbildhauer Franz Kurzbach. Dessen Arbeit und Leben wecken das Interesse des Jungen. Er besucht den Künstler regelmäßig und unternimmt seine eigenen ästhetischen Versuche. Dessen Frau urteilt bald: „Der Junge hat Talent, dem musst du Unterricht geben!“ Kurzbach folgt dem Ratschlag. Becker macht sich auf diese Weise früh nach seinen Neigungen und im Einzelunterricht mit dem Zeichnen, dem Holzschnitzen, dem Modellieren, dem Gipsabformen und anderen künstlerischen Techniken vertraut. Die Malerei steht in diesem Programm erst spät auf dem Plan, aber sie wird dann seine Leidenschaft.

Nach dem Abitur und einer Lehre als Baufacharbeiter absolviert Becker dann 1984-89 ein Bauingenieurstudium in St. Petersburg. Die Stadt ist seit Zar Peter I. das Fenster Russlands zum Westen und ein kulturelles Zentrum. Der Student gerät nun mitten hinein in den politischen und kulturellen Aufbruch der Ära Gorbatschow. Er erlebt eine künstlerische und politische Freiheit, die die DDR erst später erreicht. Er nutzt gleichwohl die neue Freiheit: regelmäßig besucht er die hochkarätigen Ausstellungen in der Kulturstadt und betrachtet die Schätze des Weltkulturerbes derEremitage, die Werke von Rubens, Rembrandt, Matisse, Gauguin, Leonardo und Picasso und andere zu ihrem Besitz zählt. Wichtige Impulse seines technischen Denkens, aber auch der Kontakt mit Motiven des russischen Konstruktivismus‘ und mit der nordischen Landschaft und Kultur, entstehen hier.

Der Abschluss des Studiums und die Rückkehr nach Weimar 1989 fallen mit dem Ende der DDR zusammen. Persönliche Veränderungen treten hinzu: der Vater stirbt im selben Jahr und das Haus in dem die Familie zur Miete wohnte, soll veräußert werden. Der Sohn kauft es selbst und verschuldet sich dafür. Zugleich bindet er sich damit an Weimar, hat aber auch die Frage nach einem Atelier geklärt, das er nun im eigenen Hause besitzt. Auch Becker sucht nach der Wende die Neuorientierung, er entschließt sich, den Ingenieurberuf nicht zu verfolgen und stattdessen die freie Malerei und Grafik weiter zu entwickeln. In der Folgezeit entstehen verschiedene Werke, die sich zunächst noch am Realismus orientieren. Sie stehen in der Tradition der Weimarer Malerschule des ausgehenden 19. Jahrhunderts, verkaufen sich sehr gut. Becker entwickelt daraus rasch eigene Akzente, die ihn in Richtung Abstraktion und einen eigenen spröden Stil führen. 1994 fährt er zu längeren Arbeitsaufenthalten in die USA und erneut kurz nach Russland. Er arbeitet sehr viel und nimmt an Einzel- und Gruppenausstellungen in Weimar, Gotha, Apolda, Recklinghausen, Trier und Atlanta (USA) teil. Um möglicherweise später auch als Kunstdozent arbeiten zu können erwägt Becker den Eintritt in eine Kustakademie. Von einen Studium nimmt er dann aber auch Abstand, weil er an Kollegen oft ein prekäres Verhältnis von Professor und Schüler beobachtet. Er zieht es vor, lieber frei zu. Eine solche ni dieu, ni maître-Einstellung ist heute eher selten zu finden. Aber der Erfolg seiner Bilder gibt Becker Recht. 1997 wird er in das Künstlerförderungsprogramm der Deutschen Kreditbank aufgenommen, 1999 wird er Mitglied im Bund Bildender Künstler Thüringens. In den nächsten Jahren folgen weiter Studienreisen nach Litauen, Marokko und Italien. 2007 vertritt der Künstler die Stadt Weimar bei deren französischen Partnerstadt Blois mit einer großen und repräsentativen Einzelausstellung. Im Renaissanceschloss‘ von Blois an der Loire zwischen Tours und Orléans gelegen, werden über fünfzig Ölbilder und Zeichnungen gezeigt.
Mit und neben den Medien

Wolf Bertram Becker verbindet in seinen Arbeiten isomorphe und ausschnitthafte mit malerisch bestimmten Bildgestalten. Er kombiniert Momente der Konstruktion, der Perspektive und der farbigen Flächigkeit. Damit wird ein Hintergrund angesprochen, der auf die Entwicklung der Künste und Medien verweist, wie sie der Bauhauslehrer Lászlo Moholy-Nagy im programmatischen Titel seines Buches Malerei, Fotografie, Filmbereits 1923 als Entwicklungslinie benennt. Der ungarische futuristische Maler Moholy entdeckt in Weimar die Fotographie für sich und überträgt Momente des abstrakten Ausdrucks auf den Film und die Bewegungsdarstellung. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die traditionellen Gestaltungsprinzipien eines Gemäldes und einer Fotografie von ihrer Ausgangslage her strikt unterscheiden. Das betrifft zunächst die Betrachtungsperspektive von Nähe und Distanz. Eine Fotografie stellt einen Ausschnitt dar. Betrachtet man sie von Nahem, so erschließen sich die Details ihrer Darstellung. In der Frühzeit des Mediums nahm man hier nicht selten eine Lupe zu Hilfe, um ein Foto von einem gemalten Bild mit in der Vergrößerung erkennbaren Pinselspuren zu unterschieden. Bei dem gemalten Bild passiert das Gegenteil. Jedes Gemälde weist eine ideale und auf Distanz angewiesene Blickperspektive auf. Die zu genaue Fixierung auf einen Ausschnitt verstellt tendenziell diesen Anschauungspunkt oder dessen Zone. Beckers Bilder nun sind in dieser Hinsicht in einem Zwischenraum von Gestaltung durch isomorphische Konstruktion, fotographisch-perspektivisch bestimmtem Blick und einer tendenziellen Rücknahme dieser Elemente durch die malerische Arbeit und Reflexion mit Farbe, Fläche und Textur platziert. Sie nehmen technisch abbildende Elemente auf und bringen sie zu malerisch darstellenden Sehweisen in eine Korrelation. Diese korrigiert die eindimensionale Entwicklung zu einem technischen Fortschritt und setzt die Malerei wieder in eine stärkere Bedeutung ein, als ihr angesichts der neuen Medien gemeinhin zugestanden wird. Kurz: Becker liest die LinieMalerei, Fotografie, Film rückwärts. Aber nicht etwa, um eine neue Hegemonie der Malerei zu erreichten. Auf Beckers Bildern findet sich vielmehr eine wechselseitige und nichthierarchische Verbindung zwischen den verschiedenen Medien. Denn die klassische malerische Perspektive erzeugt ganze Gestalten, der photographische Blick dagegen Ausschnitte. Becker gewinnt mit Hilfe von Einstellungen, die er der konstruierenden Flucht oder der Kadrage der Foto- oder Filmkamera entlehnt, im malerischen Blick ein technisches Korrektiv zu diesem. Das befreit die dargestellten Gegenstände davon auf eine fragwürdige Weise komplett sein zu müssen und führt zugleich zu einer wohltuend Nüchternheit in der Darstellung. Was Becker dabei an von der Malerei herkommender Ganzheitlichkeit verliert, gewinnt er im auf den technischen Blick zurückgehenden Ausschnitt an Spannung und Nachdruck. Auf diese Weise entsteht in seinen Bildern eine eigene Welt aus Motiv, Licht, Konstruktion auf der Seite des Künstlers und Darstellung, reiner Farbe, innerer Motivsuche und Raumgebung auf Seiten des Betrachters.
Collagen und Reisebilder

Geht man an Beckers Bilder nahe genug heran, so kann man nicht allein seinen Pinselstrich genauer zu studieren. Man vermag auch die Titel auf den Schildchen daneben zu lesen, die Aufschluss über die dargestellten Motivgruppen geben. Diese einzelnen Elemente wirken wie in einer großen Collage zusammen, die sich zu einem heterogenen Komplex ergänzen. Ohne dass Becker hier dadaistische Tendenzen zu imitieren suchte, indem er Stücke der äußeren Realität – wie Billets oder Knöpfe – in seine Tafeln einfügte, so setzt er die Praxis der Kollage im Gemälde so voraus, wie zuvor die Fotografie und der Film die malerische und plastizierende Avantgarde beerbte. Denn bekanntlich sind die Grundelemente der Medien abfotografierte Realitätsbestandteile, die zuvor in der Kollage noch montiert waren und nun in den neo-organischen Zusammenhang der Fotografie und des Films einwandern. Becker adaptiert diese Zusammensetzung für die Malerei und gewinnt damit eine wichtige Gestaltungsgröße zurück, die zuvor an die apparativen Medien abgegebenen worden war. Anders gesagt, seine Malerei setzt die Fotografie voraus.

Es wird damit nun zugleich deutlich, dass der Maler die Betrachter auf eine äußere Reise schickt, die die innere voraussetzt. Es finden sich viele solcher doppelten Reisemotive – blaue Seestücke mit Häfen und Schiffen; braune, blaue und rote Ansichten von New York und Coney Island; gelbe und blaue aus Rom und Amalfi. Diese Werke, die Nicolas Poussins und Frances Donald Kingenders Bilder ins Gedächtnis rufen, wechseln mit solchen aus Marrakesch ab, die Anklänge an August Mackes und Paul Klees Orientreisebilden ahnen lassen. Blicke auf Kirchenfassaden, die an diejenigen von Monet denken lassen, werden abgelöst vom Kirchturm von Gelmeroda, deren Ausarbeitung den Betrachter entfernt an Lionel Feiningers Lichtversuche desselben Motivs erinnern. Eine weitere Motivgruppe zeigt Brücken, Treppen und Türen in detailiertem Ausschnitt, aufgeständerte Boote, Figurinen auf Papier, liegende und sitzende Akte, halbe zivil gesprengt Häuser, Kirchen, Jardinages, Aufbauten auf Coney Island oder die Dresdener Frauenkirche.
Eine Zuspitzung

Betrachtet man diese Bilderreihe, so wird deutlich, dass Wolf Becker auf allen Motiven und Affirmationen nach einem bestimmten Zusammenhang und nach jener emblematischen Konstellation sucht. Hat man diesen Konnex erst einmal wahrgenommen, dann bemerkt man Beckers Interesse am konstruierenden Detail auch auf den größeren kontemplativen Ansichten sowie das umgekehrte Moment – nämlich die Schaffung einer gestalterischen Einheit auch im dargestellten technisch konstruktiven Einzelstück. Becker ist auf der Suche nach dem jeweiligen Springpunkt der Konstruktion, aus dem heraus das Bild erwächst, auf den seine Gestalt zuläuft und von dem aus es in idealtypische Konkurrenz mit den Werken der genannten Maler tritt.

Das Verfahren ist aus dem Streit zwischen schmückend-ästhetisierender und politisch-konstruierender Kunst im Expressionismus und im russischen Konstruktivismus bekannt. Der Dichter Paul Scheerbart – Vorläufer der Expressionisten – entwirft Dramen, in welchen solche Debatten ausgetragen werden; Wladimir Tatlin entwickelt die entsprechenden Türme und Reliefs, deren Spuren sich durch Beckers Bilder ziehen und Walter Benjamin nähert sich dieser Praxis in seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Der Zusammenhang erinnert nicht umsonst ebenso an die früheren Werke von Karl Friedrich Schinkel und Carl Gustav Carus; auch sie waren Architekten und Konstrukteure, die auf ihren Bildern mit Licht arbeiteten. Becker ist, wie gesagt, als Maler Autodidakt und von der Ausbildung her Ingenieur. Nicht von ungefähr verbindet sich in seinen Werken eine entwerfende mit einer malerischen Ader, die anderen lichtmetaphysischen Werken der Moderne, wie etwas denjenigen von Kasimir Malewitsch, nicht fernsteht.
Zwischen Destruktion und Konstruktion

Moderne Lichtmetaphysik meint auch Befreiung des Lichts von der Farbpigmentierung. Das verweist wieder auf die apparativen Medien. Zugleich geht mit diesem Zuge aber auch eine fragwürdige Tendenz einher, die bei unkritischen Befürwortern der Neuen Medien zuweilen pseudoreligiöse Züge annimmt. Diese wird der Aufbruchsstimmung des Expressionismus und der politisch-ästhetischen Avantgarden entlehnt, geht aber heute mit neoliberalen ökonomischen und politischen Verhältnissen einher, die neben ihren potentiell befreienden zugleich Züge neuer Zwänge installieren. Etliche Maler übernehmen solche Momente unhinterfragt auch in ihre malerische Techniken.

Von diesen Tendenzen ist bei Becker erfreulicherweise nichts zu spüren. Sein Medium ist das Pigment der Farbe, das nun einem zweiten wissenden Blick standhält, der gleichsam medial gesättigt ist. Indem er den konstruktiven Momenten die farblichen entgegensetzt, arbeitet er nicht allein mit den Möglichkeiten der verschiedenen Medienblicke und Methoden. Auf der Ebene der Gestaltung und des Materials schafft er zugleich eine heterogene Mischung aus auf- und abbauenden Elementen. Die zweite Erschaffung seiner malerischen Welt, die die Gegenstände aus der empirischen Sphäre der Abbildung in die autonome des Bildes hebt und sie verselbständigt, nähert sich diesen auf eine zuvor nicht gesehene Weise. Becker nutzt die Möglichkeiten der Farbe und der Fläche, um einen Torbogen, eine Figur oder eine Kirchenfassade neu zu zeigen, indem er die in ihnen zugleich am Werk sich befindenden destruktiven Kräfte zeigt: Denn die Farbe nimmt die angeführte Konstruktion zurück und begibt sich in jenen heterogenen Zwischenraum der Idee, in dem es etwas Neues darzustellen und zu zeigen gibt.

Das lässt sich auch einfacher sagen, wenn wir, nachdem wir zu Beginn von einem Schwebezustand sprachen, nun in einer verwandten Metapher ausdrücken, dass Wolf Beckers Bilder auf eine ganz eigene Weise zu schwimmen scheinen. Sie entziehen sich subtil den bekannten Sichtweisen. Sie erscheinen nicht radikal anders wie beispielsweise die abstrakten Bilder eines Mark Rothko oder Jackson Pollock, sondern erwecken zunächst den Eindruck einer bekannten gegenständlichen Nähe. Diese entpuppt sich allerdings bei näherem Hinsehen als eine Affirmation, die es in sich hat. Denn das apostrophierte Schwimmen bedeutet, dass sie sich tendenziell auflösen und in eine neue Form übergehen. Sie bilden nun Reflektionskerne für neue Überlegungen und der Betrachter muss erstaunt feststellen, dass ihm die Bilder in gewisser Weise so entgegenkommen, als hätten sie auf ihn gewartet, um nun diese sich öffnenden im metaphorischen Sinne perspektivischen Seiten entwickeln zu können. Bilder sind bekanntlich immer eine gute Gelegenheit, um nachzudenken; und sie selbst wären nur unvollständige Kunstwerke, träte nicht die Reflexion der Zuschauer hinzu, auf die sie wiederum angewiesen sind.

Beckers Kunst besteht genau genommen in dem Vermögen, solche Passagen zwischen empirischem Ding, gemaltem Gegenstand und Betrachter zu ermöglichen; einem Betrachter, der sich so ebenso nicht kennt und in der Reflexion – lässt er sich darauf ein – selbst in neue Konstellationen seines Sehens, Denkens und Erkennens eintritt. In dieser Hinsicht sind Beckers Bilder Allegorien, an denen angeschaut und weitergedacht werden kann. In anderer Hinsicht sind sie tendenziell autonome und eigenständige Symbole. Als solche stehen sie für sich und verschließen sich einem letzten Erkennen ihres Inhaltes und ihrer Form. Sie verschwinden in Farbe und Textur oder: sie verschwimmen zu enigmatischen Schemen, die eine Interpretation nicht vollständig auszudeuten in der Lage ist, weil sie mit malerischen Mitteln arbeiten und dabei eine andere als die Wortsprache sprechen.
Noch einmal: Medienmischungen

So wie die Bilder Mischungen aus abstrakter und konkreter Abbildung sind, so enthalten sie also Referenzen auf mediale Blicke. Beckers Ausschnittperspektiven entstehen in großer Nähe zur Kadrage von Kameras und arbeiten mit den Mitteln der Zerlegung und des Schnittes: Zeitschnitt, Drift oder Spuren heißen seine Werke – Titel, die sich zwanglos auch mit Photographien assoziieren lassen. Becker verbindet auf diese Weise Bewegungselemente mit Motivdoppelungen und seriellen Momenten. Fotos und Skizzen dienen ihm nicht selten als Vorlagen, die er in weiteren Bearbeitungsprozessen fremd werden lässt und dabei fotographische Perspektiven malerisch umsetzt. Beide Medienblicke mischen sich, der Maler Becker ist auf der technischen und gestalterischen Höhe der Zeit.

Beckers Vorgehen besitzt damit Parallelen zu einem von dem 2007 verstorbenen Filmregisseur Michelangelo Antonioni im Film Blow Up von 1966 aufgenommenen Moment. Dort agiert ein Photograph, als dessen alter ego ein Maler auftritt. Beide sind zugleich in dieselbe Frau verliebt. Der Photograph fragt diese gegen Ende des Films: „Du wirst dich nie von ihm trennen, nicht wahr?“ Sie antwortet: „Nein, das habe ich nicht vor.“ Die Figur der Frau lässt sich als Allegorie der Kunst deuten, die, obwohl es die Photographie und die technischen Medien gibt, in der Darstellung dennoch nicht von den Voraussetzungen der Malerei loskommt. Wolf Bertram Beckers Bilder zeigen, warum das auch vierzig Jahre später noch so sein muss, wenn er uns zum Beispiel einen Strand, eine Begegnung oder die Zeichnung eines Gartens zeigt. Die Welt will mit verschiedenen Augen betrachtet und dargestellt werden.

Man kann auch sagen: sie will verschiedene Sprachen sprechen. Dazu gehören neben der Sprache der künstlichen und der natürlicher Gestalten, derjenigen der Malerei, der Fotographie und der Lautsprache auch die Sprache der Musik. Diese einzelnen Sprachen reflektieren sich gegenseitig, sie bilden sich aber nicht vollständig ineinander ab. Es bleibt ein hochspekulativer Rest, der nicht allein ästhetischer Natur ist. Der Komponist Hanns Eissler wendet sich in seinen Musikstücken und auch in seinen Schriften bekanntlich gegen die Dummheit in der Musik. Wenn es umgekehrt so etwas wie Klugheit in der Malerei gibt, dann finden wir diese in den Bildern von Wolf Bertram Becker, die sich ebenfalls auf jenen Rest beziehen.
An der Grenzlinie

Was wir bisher über die Bilder von Wolf Becker gesagt haben, besitzt also seine Grenzen darin, dass Bilder über ihre eigene Sprache verfügen und die Laut- und Schriftsprache, in der auch dieser Text abgefasst ist, nur bis zu einem gewissen Grad als universell gelten kann. Das, was die Bilder wichtig macht und einzigartig, lässt sich in der Regel in der gesprochenen Sprache nur andeuten oder eben umschreiben. Dazu kommt, dass sich jeder Leser und Betrachter sein eigenes Bild machen muss; auch hier kann eine fremde Interpretation nicht mehr als eine zweideutige Hilfestellung sein. Denn jede Anleitung entmündigt tendenziell auch dort, wo sie zu helfen vorgibt. Jeder Leser und Betrachter muss für sich Texte und Bilder sowohl von einer Sprachsphäre in die andere als auch von einer fremden Interpretation in die eigene übertragen. So lautet auch die ursprüngliche Bedeutung der aus dem Griechischen stammendenMetapher, die mit dem deutschen Tragen verwandt ist. Damit sind wir wiederum bei der Fabel vom Wettkampf der Vögel angelangt, die bemüht wurde, um die Voreinstellungen des Malers, die als Konzept in der Regel unsichtbar bleiben, anschaulich zu machen. Und hier ist auch die Grenze der erwähnten Analogie angesprochen: Der kleine Vogel vermag nicht ohne den großen höher zu steigen, wohl aber durchaus der Betrachter ohne den Maler. Paradoxerweise gelingt ihm das, wenn er nach einer verschobenen Produktionsästhetik im Maler einen Mitstreiter erblickt, der ein ähnliches Problem auf seine Weise lösen will. Es ist dann gerade die pointierte Differenz, die ebenso auch verbindet.

Die Bilder Beckers lassen jedenfalls einen Einblick in die Werkstatt der Konstruktion zu, die selbst nicht allein ästhetische Seiten aufweisen muss. Besucht man ein Maleratelier, wenn es nicht gerade für eine Ausstellung hergerichtet ist, so wird man für solche Produktionsstätte am wenigsten das Attribut schön gebrauchen können. Vielmehr finden wir hier eine Vor- Neben- und Nachgeschichte der ausgeführten Bilder, eine Werkstatt, in der ausprobiert und verworfen wird. Ähnlich geht es auch in der Natur zu: Wenn man nach einer langen und mühevollen Wanderung endlich in das Herz eines kalbenden Gletschers schaut, so ist auch hier die Natur gerade nicht schön. Aber schöpferisch: Die Darstellung solcher gleichsam imagoloser Springpunkte, die sich auch auf Beckers Bildern finden, sind eben nicht im schmückenden Sinne ästhetisch, sondern sie erweisen sich als ein Zeichen von Intelligenz und Konzeption, in dem ein bewusstes und unbewusstes Ringen um Strategie, Stil, Wahrheit, Klarheit und Darstellung zusammenfallen.

Beckers Bilder sind in diesem Sinne Templum und Contemplum zugleich, der Plan zeigt seine Ausführung, die diesen wiederum korrigiert. Auf sie trifft der Satz Walter Benjamins aus der Einbahnstraße zu, wonach „das Werk die Totenmaske der Konzeption“ darstelle. Das mag heißen: Was man sieht, verweist auf etwas, das undarstellbar, aber nicht weniger wirksam ist. Am Ende des erwähnten Films Blow Up von Antonioni spielt auch der Protagonist mit einer Gruppe von Pantomimen Tennis – allerdings ohne Ball. Das wäre nicht weiter von Belang, wenn sich nicht herausstellte, dass nicht allein der unsichtbare Ball, um den das Spiel aufgebaut ist, aus etwas besteht, das durch die Kunstform gerahmt wird. Man beginnt zu verstehen, warum auch Laotze annimmt, dass das Rad nicht allein von den Speichen und dem Umfang gebildet wird, sondern ebenso auch von dem Zwischenraum, der diese erst ermöglicht. Vielleicht gilt dieses Verhältnis von Form und Inhalt auch in der Kunst. In diesem Sinne malte Becker dann andere Bilder, als diejenigen, die der Betrachter sieht; diese glichen dann einem ungesehenem dritten, das noch so versteckt wäre, wie der Zaunkönig im Gefieder des Adlers, wenn dieser seinen Flug begänne.

2008

Hochfahrende Neigung von Jan Basche

Hochfahrende Neigung von Jan Basche

Hochfahrende Neigung. Zu einigen Motiven bei Wolf Bertram Becker

Dieser Künstler liebt ganz offenbar Paradoxien, hat er sich doch für etwas wie einen abstrakten Realismus entschieden. Er öffnet in vielen Fällen sogmächtige Tiefenräumeund setzt dann in einem Maße Spuren in die Oberfläche, dass sie als Grenze sichtbar wird und den Betrachter zurückweist, der sich gerade auf den Weg machen wollte. Er ist intellektuell, wo er mit bedeutungsschweren Bildtiteln spielt und Gefallen daran findet, weitgespannte Assoziationsketten in Bewegung zu setzen - und ist antiintellektuell, wo er sich bewusst jeder Zeichenhaftigkeit, aller Symbole und Allegorien zu enthalten scheint. Was wir sehen, sind immer wieder in höherem Sinne Stilleben: Landschaften, in die sich, scheint es, die Welt zurückgezogen hat, zersplittert, verworfen, aber auch von manchmal atemberaubender Dichte.

2002

Hochfahrende Neigung. Zu einigen Motiven bei Wolf Bertram Becker. Ein Text von Jan Basche im Katalog SPUREN. TRACES, 1997

Hochfahrende Neigung. Zu einigen Motiven bei Wolf Bertram Becker. Ein Text von Jan Basche im Katalog SPUREN. TRACES, 1997

Hochfahrende Neigung. Zu einigen Motiven bei Wolf Bertram Becker

Wo ein Weg läuft, liegt die Landschaft gespalten. Auch wo das Feld leer steht, trennt er die Welt, die Aussicht, und verbindet doch den, der vielleicht auf ihm geht, mit dem Noch-Nicht. Er verführt, die schon unterwegs sind, zum Vergessen der Vertikale, deren obere Ferne das Ziel wäre, und macht die Langeweile des Horizonts zur Lebensgrenze. Jenes Oben aber lockt bei Becker aus einer impliziten Richtung des Bildflusses, der den Blick des Wanderers herausfordert und seinen Schritt ablenkt. Nirgends sind diese ruhigen Äcker von Rollbahnen bemessen. Der Schrecken der Beschleunigung lauert in uns, und hier auch ereignet sich der Erfolg des Werks, das Unterwegs auf jener Vertikalen, die Becker derart konsequent beschreitet, daß sie endlich zum neuen, oberen Horizont sich wandelt, dem aufgehobenen Weg.

Wenn schlechter Geschmack Versagen vor spürbarer Anstrengung ist, muß Becker um sein eigenes Bild nicht fürchten. Je höher man nämlich kommt in der Unterhaltung, desto absorbierender wird sie, gesetzt, man kann noch folgen. Sein Himmel, der übernimmt, worauf er gewöhnlich Schatten wirft, gemischt aus Gelb und Blau, Sonne und Wasser, den Farben der Welt, schweigt. Deutlich wird das in der wie auf sehr kaltes Fensterglas hingedampften Dorflandschaft der Atemwende von 1995. Es ist ja nicht so, daß wir das Rot, wie man vermuten könnte, auf dem Bild sehen, als Feuer oder vom Feuer gefärbtes Gewölk. Vielmehr wurde hier sehr viel tiefer gestaffelt. Vor dem Hintergrund, der allein jenes wartende, unausgefaltete Rot ist, Möglichkeit ganz und gar, wächst von einer Ebene, deren Material wir nur ahnen, blau und fast erfroren die Landschaft auf uns zu, das aus anderen Arbeiten Beckers schon bekannte Dorf. Sein Dunst, seine Dächer sind erneut Kristallisationen, Einfaltung, stillgestellte Bewegung, und daß ihre Nüchternheit von innen her zu kommen scheint, sagt sehr viel über die Atmosphäre, aus der heraus dieser und vielleicht nicht nur dieser Künstler arbeitet, die eine der Ordnung ist, ohne vor jenem elementar strukturlosen Hintergrund ihr Gefährdetsein aus dem Bilkd zu verlieren.

Man soll auf das, was man liebt, nicht zu viel Licht werfen wollen. Becker verzichtet auf den Schatten. Was er sieht, liegt bloß bis auf den Grund. Nicht werden die Dinge beleuchtet, sondern zum Leuchten gebracht, und derart aufrichtig erst wird das Leben aus dem Werk zurück gewonnen. Becker ist nicht sinnlich bis hinab ins Dunkle, zeigt vielmehr Ordnung und läßt glauben, hier arbeite einer, der ganz in Ordnung sei oder von liderlicher Geburt, weshalb ihn nach Reinheit verlangt und klaren Zeichen. Seine Raumrisse sind abweisend genug, um unsere Wanderungen im Kopf stattfinde zu lassen, und der Himmel, der andere Ort, ohnehin seit langem ideell aufgeladen, scheint vom gleichberechtigten Gegenüber der Landschaft immer mehr zum Lieblingstummelplatz Beckers zu werden. Einige der jüngsten Bilder zeigen, worin wir alltäglich uns bewegen, auf einen schmalen, grauen Streifen reduziert. Angesichts so offenbaren Inszenierens können wir auf eine weitere Deutung der ästhetischen Reduktion getrost verzichten. Katalytisch bleibt sie von allein.

In der Kleinen Welt von 1996 wird die Dreiteilung der Tiefe erneut versucht: auch hier liegt das Blau als schräg ausgefällte Steilwand, als mineralische Stufe vor einer ferneren Szene, die in Farbe und Ausrichtung das im Vordergrund streng senkrecht orientierte Feld variiert. Wo hart ein Halm am andren steht vor einer Trdaumfassade, wird die einzelne Erscheinung schnell zum Ornament. Das aber ist bei Becker nie Zierat, sondern Regel, und so haben seine Arbeiten einen stark kompositorischen , das Bildmaterial zur Kulisse, zum Typus verdichtenden Zug, der das aus früheren Arbeiten vertraute, dort noch in die Landschaft montierte, nicht sie allererst strukturierende Motiv des vielfach gezogenen Schleiers wiederholt und steigert. Seine Szene ist nie allein Schautafel ihrer Sedimentation im Künstler. Er potenziert, indem er ästhetisiert. Das exemplarische Detail ist hier durechaus von dieser Welt.

Für eine wohltuend offene Perspektive des Künstlers auf seinen Stoff spricht, daß uns die allgegenwärtige Stille dieser Bilder nicht etwa frösteln läßt. Indem er die Entwürfe zusammenzieht, läßt er sie gewissermaßen organisch auf die kalte Regelmäßigkeit antworten, die aus ihrer inneren Form spricht, und schafft derart eine wärmende Balance, die doch mit sicherm Gefühl die Ambiguität der bei Becker immer neu zu entdeckenden und zu entwickelnden Architektur zurücknehmen, zur Täuschung machen will, seine Glieder zurückruft an den Leib, wodurch ein großartiges Durcheinander entsteht.

Mehr als Rätsel, als Formen sind diese Bilder ebe auch, weil ihne die Einzelheit nicht versagt wird und gestalterische Lust. Sie zeigt sich sinnlich im Blick aufs Ideal, entmächtigen im voraus den Kommentar. Daß sie nicht zusammenbrechen unter der Spannung, die sie dem Auge entziehen, verdanken sie einem ur-artistischen Interesse am Besonderen: der Stoff bleibt stärker als die Idee und ist doch zum Mythischen, Immerwiederkehrenden abgeklärt. Wo die Vielfalt des Getümmels verstummt, kein Geräusch aus der Ebene dringt, der stillen Geometrie des Himmels über ihr, ruht das Wort, ein rettender Rest, nunmehr im Publikum, wird der aufmerksame Blick gerührt vom innehaltend Elementaren, schöner Komprimation. Beckers Landschaften sind Chladni-Figuren, geronnenes Echo einer verklungenen Melodie der Muster, kristallin auch, indem sie die Zeichen ihrer Genese aufnehmen. Diese nie hermetische Offenlegung des künstlerischen Rohstoffs, der Urbausteine, wird zur Einladung. Indem die Statik der Landschaft ein Hinauf induziert, ist es ihr fordernder Gestus, nur Andeutung, fein und verhalten, was uns zu Komplizen macht des Komplizierten, des nie endenden Spiels am oberen Mosaik, des sanften Zwangs der Fernzeichnung.

Bilder, die von Innen kommen.  Zur aktuellen Malerei von Wolf Bertram Becker. Ein Text von Prof. Frank Günter Zehnder im Katalog zur Ausstellung BETRACHTUNGEN in der Galerie Huber & Treff, Jena, 2014

Bilder, die von Innen kommen. Zur aktuellen Malerei von Wolf Bertram Becker. Ein Text von Prof. Frank Günter Zehnder im Katalog zur Ausstellung BETRACHTUNGEN in der Galerie Huber & Treff, Jena, 2014

Das bisherige Werk von Wolf Bertram Becker ist vielschichtig und konzentriert zugleich, es spiegelt eine sehr eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit und eine besondere Art, die ganz persönlichen Empfindungen damit zu verbinden. Nicht nur bei der ersten Begegnung mit seinen Bildern reibt man sich die Augen, sondern seine Malerei bleibt auch auf Dauer, von Werk zu Werk, von Jahr zu Jahr stets frisch und bewegend. Die Annäherung an seine Kunst vollzieht sich vom ersten faszinierten Blick über eine sachliche Bestandsaufnahme von Themen, Farben und Formen bis zur inneren Erregung oder Ruhe. Da sind die nahen und weiten Landschaften, die Parks und Gärten, die Häuser im Grünen, aber auch die Brücken und Städte, die Straßen und Wege, berühmte Anblicke von Köln über Venedig bis New York. Eindrucksvolle Architekturen wie der Kölner Dom oder eine Autobahnbrücke stehen dem Belvedere im wuchernden Grün und Blau oder einer steil emporsteigenden Treppe gegenüber. Daneben Bilder vom Wasser und von der Luft, vom Meer und von den Wolken, auch Eindeutiges und Rätselhaftes, Verwunschenes und Glasklares. Die Farbkultur besticht prima vista, kräftige und gedämpfte Farben lösen einander ab, bringen die Augen in Bewegung, schaffen Rhythmen in den Bildern, beruhigen mit ihren Flächen. Einmal registriert man die Lust an der Lokalfarbe, ein andermal die Leidenschaft eines mehrfarbigen Crossovers. Unter diesen unterschiedlichen ersten Eindrücken ist man sich ganz sicher, einer starken ungewöhnlichen Handschrift zu begegnen.
Die Wahrnehmung dieser Kunst teilt sich in eine erste affektive und eine nachhaltige kognitive, die die spontanen Empfindungen sachlich prüft und die Komposition flüchtig bis gründlich analysiert. Es klärt sich, dass die Bilder von Wolf Bertram Becker nicht nur einen Blickpunkt und nicht nur eine Blickrichtung haben, sondern sozusagen multivisuell erfasst werden können, sollen, müssen. Von oben und von unten, von rechts und von links bieten sich viele Zugänge an. Da sind Texturen, Strukturen, Richtungen und Deklinationen, die wie Koordinaten den Bildern ein Rückgrat geben. Der jeweilige Farb- und Formprozess scheint sich bewusst oder intuitiv - auch unabhängig vom Bildinhalt - zu ereignen. Man bemerkt, dass nicht Thema oder Motiv den Malvorgang dominieren, sondern dass die leere Leinwand die Herausforderung ist und die Bestimmung setzt. Wir haben es mit einer Blick, Gefühl und Analyse verschlingenden Malerei zu tun, die den Betrachter an den Abläufen des Malprozesses beinahe unmittelbar teilhaben lässt. Auf diese Weise ist man einfach mittendrin. Der Maler greift die Realität und ihre Erscheinungen ab, verinnerlicht und durchdringt sie, speichert und ruft sie ab, folgt der äußeren Anregung und den inneren Vorstellungen. Seine Bilder sind voll von Eindrücken, voll vom Ringen um die Form, voller Leidenschaft, aber zugleich auch Orte der Stille und der Kontemplation. Und sie bleiben, - so dicht und so offen sie auch sind -, immer lesbar.
Die Malerei von Wolf Bertram Becker ist dialogisch angelegt, sowohl innerhalb der Bilder als auch in ihrer Außenansprache. Das gesamte vorliegende Oeuvre lebt von dieser besonderen Ausstrahlung. Das beginnt bei den Inhalten, den Themen und Motiven, die wie das Verhältnis von Strand und Meer oder von Wasser und Wolken zwar den natürlichen Gegebenheiten folgen, aber in ihrer gemalten Erscheinung und in der Bildwirkung immanenten Bildgesetzlichkeiten gehorchen. Noch deutlicher wird der authentische Anteil beispielsweise in den Venedig-Bildern mit ihren variantenreichen Formulierungen von Wasser und Palast oder in den Köln-Porträts, die sich aufgrund der Nähe von Dom und Hohenzollernbrücke auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen mit der Spannung zwischen Stahl und Stein, Monumentalität und Dynamik, Mittelalter und Moderne, Unmittelbarkeit und Distanz auseinandersetzen. Aus dem gleichen Blickwinkel erfasst, finden sich in seinen motivgleichen Bildern doch stets andere Akzentsetzungen und Betonungen, so als spräche das Motiv über seine Potentiale. Der dialogische Charakter dieser Malerei manifestiert sich auch farblich und formal, wenn sich etwa ein leuchtendes Orange als Grundfarbe und ein kräftiges Blau als Gegenstandsfarbe gegenüberstehen oder wenn sich Rund- und Winkelformen kreuzen, Flächen zu Tiefen stehen oder nüchterne Beschreibung mit atmosphärischer Verdichtung korrespondiert. Auch das Verstecken und Verhüllen von Architektur mittels einer üppigen Pflanzenwelt - wie in so manchem Belvedere-Bild - oder dagegen die Offenheit und Weite von Landschaft - wie in den Bildern mit Wegen und Wassern – sind innerhalb der Bildwelt Beckers fast Zwiegespräche über die Gegensätze hinweg. Schließlich gibt es in diesem Werkverlauf auch zwischen den stilgeschichtlichen Ausdrucksformen „romantisch“ und „realistisch“ sowie zwischen den ganz persönlichen Charakteristika „autonom“ und „authentisch“ ein ständiges Wechselgespräch ohne ausgrenzendes Entweder – Oder. Idylle und Gewirre, die gemeinhin mit Plus und Minus bewertet werden, sind in den Bildzusammenhängen Beckers keine Gegensätze, sondern poetische Durchdringungen wie Natur und Technik ebenfalls. Solche Korrespondenzen über die Zeiten kennzeichnen Bildideen, Handschrift und Botschaft seiner Kunst. Dazu zählen beispielsweise auch Ordnung und Chaos, die einerseits in einem Malprozess nach Fotovorlagen zueinander finden und deren Verhältnis sich andererseits auch darin äußert, wie eigenes vor Ort-Erleben in die Atelierarbeit einfließt. Am Wechselspiel bzw. beim Ineinander von Bildkonstruktion und informellem Malprozess lassen sich Gegenseitigkeit und Ergänzung beinahe exemplarisch ablesen. Struktur und Leidenschaft, Komposition und Spontaneität, Farbflächen und Pinselhiebe, das Objektive und das Subjektive, alle diese scheinbaren Gegensätze machen gemeinsam die ungemeine Kraft aus, von der die Bilder und ihre Rezeption beim Betrachter leben. Da plätschert nichts vor sich hin, da säuseln keine Winde und keine Nachtigall singt, sondern da brodelt und kocht es, da brechen Dämme unter den Farben, und Empfindungen explodieren zu neuen Bildwelten. Die erkennbare künstlerische Vorliebe für Versperrung und Durchblick erscheint als Metapher für Geheimnis und Erkenntnis. Die Wahl von Panorama oder Ausschnitt, die Entscheidung für Nah- oder Fernsicht, der Einsatz von Frosch- oder Vogelperspektive, das alleine belegt überzeugend: Die Malerei von Wolf Bertram Becker kann in ihrer besonderen Formensprache aus einem Detail der Realität ein Weltbild schaffen, indem er sie mit Symbolen, Farbwerten und Gefühlen so füllt, dass sie sozusagen pro toto gelten. Erinnerungen, Assoziationen, Vergleiche und Vorstellungen werden durch die Art, wie er mit Motiven und Inhalten umgeht, in Gang gesetzt, lassen die Gedanken freier und tiefer werden. Sie generieren aus dem Moment heraus ein bewusstes und unbewusstes Verständnis für Absicht, Malprozess und Bildwirkung. Diese breite Akzeptanz beim Publikum verdankt sich auch der besonderen Begabung des Malers, über den Details die große Form nicht zu vernachlässigen. Ob es die gegenseitige Ergänzung von Statik und Dynamik in einem Brückenbild ist, ob es die dichte Reihung und Wiederholung in einem Birkenwald ist, ob es die fließenden oder sperrenden Formen einer Flut sind, ob es die still ruhenden Linien einer Trift oder die sich gemessen begleitenden Horizontalen eines Meerbildes sind, stets bringt Becker das Eigentümliche des Motivs mit seiner autonomen Formensprache treffend zusammen.
Die Dialogsequenzen ziehen sich durch sein gesamtes jüngeres Schaffen und berühren auf authentische Weise unterschiedliche Diskurse der zeitgenössischen Kunst. Kunst ist ja - neben allem Inhaltlichen - vor allem ein Formprozess, und auch die unverwechselbare Handschrift Wolf Bertram Beckers definiert sich über die Formensprache. In seinem aktuellen Werk ringen Gegenständlichkeit und Figuration im weitesten Sinne mit Reduktion, Abstraktion und Amorphie. Es geht ihm um das Bild als Ganzes und um dessen Stimmigkeit. Nicht die Realität ist die Herausforderung, sondern die leere Leinwand. So baut der Maler das Gesehene um, reduziert, pointiert, formt sein ganz individuelles Bild von der Wirklichkeit und schafft damit die Bildwirklichkeit. Man registriert, dass das Bild das Eigentliche ist. Alles andere tritt zurück. Auch das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart spielt inhaltlich wie formgeschichtlich in diese Bildprozesse hinein. Es sind Bilder mit Motiven wie Schloss, Tempel, Kathedrale, Großstadt, Meer etc., die von einem verklärenden Blick hinüberwandeln zu einer resümierenden Formgebung, wenn sie von der Natur überwuchert, vom Verfall gezeichnet, von der Monumentalität geadelt, von der Anonymität gezeichnet werden, - ganz aus der Erfahrung des „panta rhei“, des steten Wandels und der Vergänglichkeit. Spirituelles und Mystisches spielt da hinein, etwas Geheimnisvolles liegt über allen Bildwelten des Malers. Alleine der differenzierte Umgang mit dem Licht und dem Schatten, mit dem Beleuchten, dem Leuchten und auch dem Erleuchten weist auf eine rege geistige und formale Auseinandersetzung hin. Es scheint so, als stünde über allem Inhaltlichen und Formalen, zwischen Welterfahrung und Bildvision die Erkundung von Zeit, - in Gegenwart und Vergangenheit, in der Materie wie im Menschenwerk, im Moment wie in der Dauer. Der Augenblick und die Ewigkeit scheinen gleichzeitig tragende Bildkräfte zu sein. Zeiten kommen, Zeiten gehen, Zeiten ziehen, Zeiten stehen, – es ist alles im Fluss. Stillstand und Wandel, Ruhe und Bewegung: Das ist wohl – nach Ausweis der Tempi in den Bildern - eine philosophische Grundhaltung im künstlerischen Schaffen von Wolf Bertram Becker.
Seine Stilsprache ist höchst authentisch und autonom, sie berührt zeitgenössische Tendenzen und auch Überlieferungen vor allem der Landschaftsmalerei. Das Bild als innere Größe, momentan und permanent, ist aus dem Augenblick geboren und mit gewachsener Erfahrung komponiert. Es hält eine individuell gefundene Balance zwischen Weltsicht und Illusion, zwischen Abbild und Experiment, zwischen Tradition und Innovation. Das Ineinandergreifen von Beschreibungstreue und inneren Bildern korrespondiert mit den realistischen und abstrakten Zügen in Beckers Malweise. Diese steht zwischen dem registrierenden statischen Foto und einem malerischen Prozess, der schließlich im Betrachter-Auge weitergeht. Konstruktivistische Aspekte im Bildaufbau und in den Stadtbildern, die sicherlich noch aus seinem Ingenieurstudium herrühren, sowie impressionistische Farberfahrungen verbinden sich mit besonders expressiven Farbsetzungen zu unteilbar dichten Gemälden, die selbst im kleinen Format groß sind. Stets spürt man in ihnen die Leidenschaft für Farbe und Form. Bei aller Heftigkeit des Malprozesses wirken sie kontemplativ und lassen den Blick versinken. So sind sie über jeden Mitteilungscharakter hinaus auch gestische und spirituelle Malerei. Wolf Bertram Beckers bisheriges Werk offenbart ein ständiges Suchen und Finden, es bleibt fern jeder Routine eine Überraschung.


Prof. Dr. Frank Günter Zehnder Internationale Kunstakademie Heimbach, 2014

Dieser Text wurde im Katalog “Betrachtungen” veröffentlicht, der anlässlich der gleichnamigen Personalausstellung in der Galerie Huber & Treff, Jena erschien.

Konstruierte Unvollständigkeit. Ein Text von Wolfgang Bock im Katalog der Ausstellung Le grand voyage im Schloss von Blois 2007

Konstruierte Unvollständigkeit. Ein Text von Wolfgang Bock im Katalog der Ausstellung Le grand voyage im Schloss von Blois 2007

Zersprengte Brücken, ein Geflecht aus Stahlträgern, ein antiker Torbogen, eine arkadische Landschaft, Lichteinfall an antiken Säulen, ein eingerüstetes Gebäude, New York aus der Vogelperspektive. Dazwischen reduzierte Akte und Portraits, Rauminnenkonstruktionen, Segelschiffe, wieder Brücken, Treppe - Wolf Bertram Becker zeigt Gemälde und Zeichnungen im Schloss von Blois.
Betrachtet man die Bilder genauer, so wird rasch deutlich, dass man ihnen auf der Ebene der Motive allein nicht gerecht wird. Die Arbeiten bestzechen durch ihre Anlage und ihre Farbigkeit. Sie zeigen Ausschnitte äußerer Realität und bleiben doch auch Einheiten und Gestfalten für sich. Sie sind gegenständlich und abstrakt zugleich, Ausdruck reiner Farbe und ihrer Variation am Objekt. Die großformatigen und zugleich gesetzten Flächen von schattiertem Rot, Blau, Orange oder Schwarz geben den Augen Raum und ermöglichen dem Betrachter eine Bewegung zwischen Nah- und Fernsicht, schweifendem Blick und Ruhestelung. Die verschwimmende Objekte bleiben dabei fern, wie sehr man die Distanz zu ihnen auch zu mindern versucht.
Becker verbindet auf diese Weise einen photographisch anmutenden Ausschnitt mit malerisch bestimmten Bilkdgestalten. Betrachtet man eine Photographie von nahem, so erschließen sich bekanntlich die Details der Darstellung; bei einem gemalten Bild passiert das Gegenteil - der genaue Blick verstellt zugleich tendenziell die ideale, auf Distanz angewiesene Blickperspektive. Beckers Bilder sind in einem Zwischenraum von photographisch bestimmten Blick und malerischer Umsetzung platziert. Sie nehmen technisch abbildende Elemente auf und bringen sie zu malerisch darstellenden Sehweisen in Korrelation. Die klassische malerische Perspektive erzeugt ganze Gestalten, der photographische Blick dagegen Ausschnitte. Becker gewinnt mit Hilfe von Einstellungen, die er der Kadrage der Photo- oder Filmkamera entlehnt, im malerischen Blick ein technisches Korrektiv zu diesem. Das befreit die dargestellten Gegenstände davon, komplett sein zu müssen und führt zu einer wohltuend spröden Nüchternheit in der Darstellung. Was Becker dabei an von der Malerei herkommenden Ganzheitlichkeit verliert, gewinnt er im auf den technischen Blick zurüpckgehenden Ausschnitt an Spannung und Nachdruck. Auf diese Weise entsteht in seinen Bildern eine produktive Textur aus Motiv, Licht, Konstruktion auf der Seite des Künstlers und Darstellung, reiner Farbe, innerer Motivsuche und Raumgebung auf Seiten des Betrachters.
Geht man an Beckers Bilder nahe genug heran, so vermag man nicht allein seinen Pinselstrich genauer zu studieren; man kann auch duie Titel lesen, die Aufschluss über die dargestellten Motivgruppen geben. Es wird nun deutlich, dass der Maler die Betrachter auf innere und äußere Reisen schickt. Die große Fahrt ist das Bild betitelt, mit dem die Ausstellung beginnt und in dem ein großes Rot dominiert. Es folgen weitere Reisemotive - blaue Seestückemit Häfe und Schiffen; breaune, blaue und rote Ansichten von New York; gelbe und blaue aus Italien (Rom, Amalfi), die Poussins und Kingeders Bilder ins Gedächtnis rufen, wechseln mit solchen aus Marrakesch ab , die Anklänge an Mackes und Klees Orientreisebilder ahnen lassen. Blicke auf Kirchenfassaden, die an diejenigen von Monet denken lassen, werden abgelöst vom Kirchturm von Gelmeroda, deren Ausarbeitung den Betrachter entfernt an Lionel Feiningers Lichtversuche desselben Motivs erinnern. Auf allen Motiven und Affirmationen aber sucht Becker nach einem bestimmten Zusammenhang und nach einer bestimmten Konstellation. Eine weitere Motivgruppe nämlich zeigt Brücken, Treppen und Türen in detailliertem Ausschnitt und im Zusammenhang von Konstruktion und Farbigkeit. Hat man diesen Zusammenhang erst einmal wahrgenommen, dann bemerkt man Beckers Interesse am konstruierten Detail auch auf den größeren kontemplativen Ansichten sowie das umgekehrte Moment, nämlich die Schaffung einer gestalterischen Einheit, auch im dargestellten technisch konstruktiven Einzelstück.
Becker ist jeweils auf der Suche nach dem Springpunkt der Konstruktion, aus dem heraus das Bild erwächst, auf den seine Gestalt zuläuft und von dem aus es in idealtypische Konkurrenz mit den Werken der genannten Maler tritt. Das Verfahren ist aus dem Streit zwischen schmückend-ästhetisierender und politisch-konstruierender Kunst im Expressionismus und im russischen Konstruktivismus bekannt. Scheerbart entwirft Dramen, in welchen solche Debatten ausgetragen werden und Tatlin entwickelt die entsprechenden Türme und Reliefs, deren Spuren sich durch Beckers Bilder ziehen. Der Zusammenhang erinnert nicht umsonst ebenso an die frühen Werke von Schinkel und Carus; auch sie waren Architekten und Konstrukteure, die auf ihren Bildern mit Licht arbeiteten. Becker ist als Maler Autodidakt und von der Ausbildung her Ingenieur. Nicht von ungefähr verbindet sich in seinen Werken eine konstruierende mit einer malerischen Ader, die anderen den lichtmetaphysischen Werken der Moderne nicht fernsteht.
So wie die Bilder Mischungen aus abstrakter und konkreter Abbildung sind, so enthalten sie ebenso Referenzen auf mediale Blicke. Beckers Ausschnittperspektive entstehen in großer Nähe zur Kadrage von Kameras und arbeiten mit den Miteln der Zerlegung und des Schnittes: Zeitschnitt, Drift oder Spuren heißen seine früheren Werke - Titel, die sich zwanglos auch mit Photographien assoziieren lassen. Becker verbindet auf diese Weise Bewegungselemente mit Motivdoppelungen und seriellen Momenten. Photos und Skizzen eigener Bilder dienen ihm nicht selten als Vorlagen, die er in weiteren Bearbeitungsprozessen fremd werden lässt und dabei photographische Perspektiven malerisch umsetzt. Beide Medienblicke mischen sich, der Maler Becker ist auf der technischen und gestalterischen Höhe der Zeit. Seine Bilder setzen die Photographie und den Film voraus; sie unterbrechen aber zugleich eine eindimensional gedachte Kette eines Fortschritts von Malerei über Photographie und Film hin zu de digitalen Bildern und kehren diese tendenziell um. Beckers Vorgehen besitzt damit Parallelen zu einem von Michelangelo Antonioni im Film Blow up von 1966 aufgenommenen Moment. Dort agiert ein Photograph, als dessen alter ego ein Maler auftritt. Beide sind zugleich in dieselbe Frau verliebt. Der Photograph fragt diese gegen Ende des Films: “Du wirst dich nie von mir trennen, nicht wahr?” Sie antwortet: “Nein, das habe ich nicht vor.” Die Figur der Frau lässt sich als Allegorie der Kunst deuten, die, obwohl es die Photographie und die technischen Medien gibt, in der Darstelung dennoch nicht von den Voraussetzungen der Malerei loskommt. Wolf Bertram Beckers Bilder zeigen, warum das auch vierzig jahre später noch so sein muss, wenn er uns zum Beispiel den Pont du Gard, einen Lesenden Akt oder die Zeichnung eines Gartens zeigt. Die Welt will mit verschiedenen Augen betrachtet und dargestellt werden.